4 Tage obdachlos in Bamberg gegen Ausgrenzung und Abschiebelager
Protest ohne Camp – eine Auswertung vom Solidarity4all Bündnis
Wir haben für August 2016 ein 4-tägiges Protestcamp gegen Abschiebelager in Bamberg vorbereitet und organisiert. Ein Camp konnte aufgrund der massiven Repression durch die Polizei und die Stadt Bamberg nicht stattfinden. Auch fast alle unsere Kundgebungen wurden verboten. Unser Protest fand trotzdem statt – unter erschwerten Bedingungen – und wir haben vielleicht das Beste aus der Situation gemacht.
Die Camp-Idee
Die Abschiebemaschinerie in Deutschland wurde seit dem Herbst 2015 massiv ausgebaut, Abschiebezahlen verdoppelt und Vorreiter war einmal mehr Bayern. Hier wurden die ersten so genannten Aufnahme- und Rückführungs-Einrichtungen (kurz ARE) gebaut – faktisch handelt es sich dabei um Abschiebelager. Das Abschiebelager in Bamberg wurde als s.g. Balkan-Zentrum, also primär für Menschen aus den zu sicheren Herkunftsstaaten erklärten Westbalkan-Ländern, eröffnet – zunächst mit einer Kapazität von 1.500 Personen. Seit September wurden von hier aus jede Woche Busse-Weise Menschen abgeschoben oder zur freiwilligen Ausreise gezwungen. Viele der Betroffenen sind Roma, die in ihren Herkunftsländern mit massiver Diskriminierung und Verfolgung konfrontiert sind. Nach den Menschen aus den Balkan-Ländern werden auch Geflüchtete aus weiteren Herkunftsländern betroffen sein, die als „sicher“ definiert werden. Das war von Anfang an das Konzept der ARE.
Wir wollten vier Tage in Bamberg verbringen und die Abschiebungen sowie die Nötigungen zur „Freiwilligen Ausreise“ de-legitimieren. Wir wollten mit unserem Protest die Öffentlichkeit erreichen, aber vor allem auch Solidarität mit den Betroffenen zum Ausdruck bringen und möglichst mit ihnen gemeinsam protestieren. Darüber hinaus wollten wir auch aus der eigenen Ohnmacht und Passivität herauskommen, in die uns befallen hatte, seit ab dem Herbst 2015 eine Asylrechtsverschärfung die andere jagte, ohne dass wir dem irgendetwas Vernehmbares entgegensetzen konnten. Und seit die Grenzen um die EU mit immer höheren Zäunen abgeschottet wurden.
Wir wollten zeigen, dass die Abschottung Europas mitten in Bamberg stattfindet und zumindest ein Zeichen dagegen setzen.
Die ARE in Bamberg war ein Ort, an dem sich viele Widerlichkeiten der asyl- und migrationspolitischen Gesamtlage nach dem „Sommer der Migration“ manifestierten: Ein isolierendes Lagersystem, ständig stattfindende Abschiebung, die volle Härte der rechtlichen Einschränkungen aus den Asylrechtsverschärfungen seit 2014 für die Menschen aus s.g. sicheren Herkunftsstaaten. Außerdem der sichtbare Erfolg der rassistischen Hetze von CSU gegen s.g. Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan und nicht zuletzt: Die reale Bedrohung für die in das Sammellager gezwungenen Betroffenen durch Naziterror, die durch die Aufdeckung von Anschlagsplänen und das Auffinden von Waffenarsenalen bei Bamberger Neonazis der Partei „Die Rechte“ offensichtlich wurde. Daher waren aus unserer Sicht der Protest an diesem Ort und eine Solidarisierung mit den von verschiedensten Ausschlussmechanismen betroffenen Menschen in der ARE richtig und notwendig.
Das Camp sollte Anfang August 2016 stattfinden auf einer Wiese möglichst nah am Abschiebelager, um den Kontakt mit den Leuten, die in der ARE leben mussten, zu ermöglichen.
Der Schwarze Block mit 2.000 gewaltbereiten Autonomen in Bamberg?
In monatelanger Arbeit haben wir mit wenigen Leuten ein 4-tägiges Protest-Camp gegen das Abschiebelager ARE in Bamberg vorbereitet – mit all der Infrastruktur, die eben zu einem Camp gehört. Da die geeigneten Camping-Wiesen in Nähe der ARE städtische Wiesen waren, traten wir in langwierige Verhandlungen mit der Stadt Bamberg. Diese Verhandlungen platzten schließlich am letzten Tag vor dem geplanten Beginn des Camps. In den Tagen vor Campbeginn erhielten außerdem verschiedene Anmelder*innen von Demos, Kundgebungen und Dauerkundgebungen Bescheide vom Bamberger Ordnungsamt – netterweise teilweise von Polizeibeamten persönlich an die Haustüre zugestellt. Alle Kundgebungen in der Innenstadt wurden laut dieser Bescheide verboten und alle auf ein und denselben Parkplatz an einer Schnellstraße verlegt. Auch Kundgebungen, die direkt an der ARE angemeldet waren, wurden auf diesen 300 Meter entfernten Parkplatz verlegt.
Demo-Routen wurden aus der Innenstadt verbannt. In haarsträubenden Gefahrenprognosen der Polizei war von 2.000 gewaltbereiten Autonomen die Rede. Die Bescheide zu den Kundgebungen und Demos, enthielten außerdem „Polizei-Informationen“ zu den jeweiligen Anmelder*innen mit höchst fragwürdigem Wahrheitsgehalt. Dabei handelte es sich ganz offensichtlich um Verfassungsschutzinformationen, die neben Unterstellungen und Behauptungen auflisteten, an welchen linken Kundgebungen und Demos die jeweilige Anmelder*in in der Vergangenheit teilgenommen hätte oder zu welchen anderen Linken sie Kontakt hätten. Zwei Anmelder*innen wurden als „ungeeignet“ vom Ordnungsamt abgelehnt.
Protest-Parkplatz
Aufgrund dieser Repressalien mussten wir unseren Protest auf einem Parkplatz starten, während solidarische Anwält*innen gegen die Bescheide klagten und Bamberger Aktivist*innen Schlafplätze organisierten. Durch die Verbote und Schikanen mussten wir sowohl die gesamte Infrastruktur als auch das Programm komplett umstrukturieren, was für die Organisator*innen extrem kräftezehrend und für viele, die anreisen wollten, demobilisierend war. Für diejenigen, die trotz aller Widrigkeiten anreisten, war die Situation vielfach chaotisch, weil keine Struktur stand.
Im Rückblick ist für uns klar, dass wir uns bezüglich der Campwiese nicht auf eine Einigung mit der Stadt hätten verlassen dürfen. Trotzdem hatte die prekäre Parkplatz-Situation letztendlich ihr Gutes, da der Parkplatz nur 300 Meter von der ARE entfernt war und somit einen gemeinsamen Protest mit den Betroffenen aus der ARE ermöglichte. Das hätte im Rahmen eines weiter entfernt liegenden Camps kaum so gut funktioniert.
Durchführen konnten wir letztlich Kundgebungen direkt an der ARE (ein Novum für Bamberg), unangemeldete, spontane Kundgebungen und eine unangemeldete spontane Demo in der Innenstadt, eine angemeldete Demo mit 600 Leuten (die allerdings nicht in die Innenstadt durfte) sowie improvisierte Workshops, Diskussionen und Plenas auf dem Parkplatz und in kurzfristig organisierten Räumen Bambergs.
Was wir erreichen konnten und was nicht:
Doch keine 2.000 gewaltbereiten Autonomen
Dass eine Prognose der Polizei von 2.000 gewaltbereiten Autonomen, die für das Camp nach Bamberg kommen sollten, nicht nur unrealistisch, sondern eine politisch gewollte Delegitimierungs- und Einschüchterungsstrategie war, war für uns immer klar. Es nahmen an den meisten Tagen wohl 100 – 150 Aktivist*innen an den Protesten teil – an der Demonstration am Samstag etwa 600 Menschen. Das sind keine sehr hohen Zahlen.
Sicherlich war das Fehlen einer Camping-Wiese demobilisierend – v.a. für Menschen, die von auswärts anreisen wollten. Doch auch jenseits dieser „äußerlichen“ Erschwernisse – die Beteiligung war geringer, als wir erhofft und erwartet hätten. Wir fragen uns, ob man zu einem antirassistischen Protest in einer bayerischen Kleinstadt prinzipiell nicht mit mehr Beteiligung rechnen kann? In der Nachbereitung diskutierten wir, ob das Thema Migration, dass den Herbst 2015 und den darauffolgenden Winter stark prägte, schon im Sommer in einer linken Bewegung nur noch wenig mobilisierend war?!
Wir haben mit unserem Aufruf bewusst eine klare, radikale antirassistische und linke Position eingenommen. Obwohl wir offen zu dem Bündnis eingeladen haben, blieb die Beteiligung von eher bürgerlichen antirassistischen Gruppen größtenteils aus. Inwiefern das unsere Mobilisierungsfähigkeiten eingeschränkt hat, lässt sich schwer sagen – sicherlich wurde es jedoch für die Polizei und die Stadt Bamberg leichter, uns als linksradikale Gewaltäter*innen abzustempeln.
Gemeinsamer Protest mit den Leuten aus der ARE:
Bei der ersten Kundgebung, die schließlich direkt vor der ARE stattfinden konnte, kamen wir sehr gut in Kontakt mit vielen Leuten aus der ARE. Sie beteiligten sich teilweise mit spontanen Redebeiträgen an dieser ersten Kundgebung und verbrachten dann von Donnerstag bis Sonntag sehr viel Zeit mit uns zusammen auf dem Parkplatz: Wir halfen alle gemeinsam bei der VoKü , hörten und machten Musik, redeten, nahmen an Plena und Workshops teil. Auch an den weiteren Aktionen und Kundgebungen beteiligten sich Leute aus der ARE.
Wir hatten im Vorfeld große Sorgen, ob das klappen würde, da ein langfristiger Kontakt und eine gemeinsame Vorbereitung des Camps nicht möglich waren. Die Belegung der ARE wechselt häufig und die prekäre Aufenthaltssituation verhindert, dass die Menschen irgendetwas vorbereiten, das Wochen oder gar Monate in der Zukunft liegt. Der Kontakt mit den Leuten aus der ARE hat letztendlich besser geklappt, als wir zu hoffen gewagt hatten. Neben der räumlichen Nähe des Protests zur ARE waren hierfür sicher auch die Briefe an die Leute in der ARE, die wir vorher verteilt hatten, die Kundgebung direkt an der ARE und engagierte Übersetzer*innen entscheidend. Unsere Solidarität mit den Leuten in der ARE konnten wir ausdrücken und sie konnten sich an den Protesten beteiligen. Verändern konnten wir die Situation der Leute in der ARE leider nicht. Die meisten Menschen, die wir kennengelernt haben, sind mittlerweile abgeschoben oder „freiwillig“ ausgereist. Außerdem waren sie Repressalien ausgesetzt, nachdem wir abgereist waren.
Kein gemeinsamer Protest mit den übrigen Bamberger*innen
Weniger gut geklappt hat der Kontakt mit den übrigen Bewohner*innen Bambergs. Schon im Vorfeld des Camps schlossen sich Stadträt*innen zusammen und forderten, dass all unsere Aktionen verboten werden müssten. Kurz vor dem Beginn unseres Protests wurde in der lokalen Presse besagte Gefahrenprognose der Polizei zitiert. In dem konservativen Klima einer bayerischen Kleinstadt waren die Voraussetzungen für Zustimmung zu unserem Protest von Anfang an schwierig. Durch das heraufbeschworene Gefährdungsszenario wurden jedoch zusätzlich die wenigen Leute, die die Zustände in der ARE kritisch beurteilten, von unserem Protest ferngehalten.
In der Bamberger Innenstadt waren wir sehr wenig mit unseren Inhalten präsent. Alle unsere im Vorfeld angemeldeten Aktionen in der Innenstadt waren verboten worden, ebenso eine Spontan-Demo. Letztendlich waren dann jedoch am Freitag mit Kundgebungen und einer Demonstration, die alle nicht angemeldet waren, mitten in der Innenstadt. Sehr wichtig für unsere Präsenz in der Öffentlichkeit, aber sicher nicht genug. Zu unserer Erheiterung hatte das Bamberger Rathaus am Freitag eine Stunde früher geschlossen – vorsorglich und zum Schutz der Mitarbeiter*innen.
Eine wichtige Frage bleibt für uns auch nach unserem Protest bestehen: Was könnte man tun, damit sich die Stimmung in der Bevölkerung Bambergs verändert? Diese Frage stellt sich auch Allgemein.
Generell sind Proteste gegen Abschiebungen in die Balkan-Länder in der deutschen Mehrheitsgesellschaft wenig anschlussfähig. Für uns als Bündnis solidarity4all war und ist jedoch die Solidarität mit den von mehrfachen Ausgrenzungsmechanismen betroffenen Menschen wichtig.
Mediales Echo
Die Regierung von Oberfranken twitterte Kommentare zu unseren Redebeiträgen (Alles nicht so schlimm in der ARE), was ganz klar zeigt, dass wir einen empfindlichen Punkt der Regierungspraxis getroffen haben. In der regionalen Presse fand unser Protest relativ viel Beachtung mit sehr unterschiedlicher Ausrichtung. Die Bamberger Zeitungs-Leser*innen kamen am Thema jedenfalls definitiv nicht vorbei. Auch überregional gab es Berichterstattung. In vielen Beiträgen standen die Demonstrationsverbote im Vordergrund, es wurde aber auch über das Abschiebelager berichtet. Ein Stück weit ist es uns also gelungen die Zustände in der ARE sowie die Abschiebungen zu skandalisieren.
Keine Versammlungsfreiheit in Bamberg
Das Ausmaß an Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, das wir in Bamberg erlebten, hätten wir so nicht einmal in Bayern für möglich gehalten. Einerseits waren die Verbote unserer Aktionen durchaus im Sinne weiter Teile der Bevölkerung Bambergs und spiegeln das erzkonservative Klima der Stadt wider. Zum anderen gehen wir davon aus, dass es letztlich ein planvolles Zusammenwirken von Bayerischem Innenministerium, Verfassungsschutz und Polizei gab. Gegen diese Repression wehrten wir uns im Vorfeld und während der Proteste mit zahlreichen Klagen gegen die Kundgebungs- und Demo-Bescheide. Ein Teil der Klagen war erfolgreich – ein Teil nicht. Ein Erfolg war z.B. dass wir unseren Kundgebungsort direkt vor der ARE juristisch durchsetzen konnten. Auch in Zukunft wird es jetzt in Bamberg möglich sein, Kundgebungen direkt an der ARE durchzuführen, was vorher immer durch das Bamberger Ordnungsamt abgelehnt wurde. Die Versammlungen in der Innenstadt und auch die Demoroute durch die Bamberger Innenstadt konnten wir zwar nicht juristisch durchsetzen, aber praktisch am Freitag durch zivilen Ungehorsam. Wenn allerdings schon eine Kundgebung in der Innenstadt Bambergs in diesen Tagen zu einem Akt des zivilen Ungehorsams wurde, muss uns das zu denken geben.
Das Innere der ARE ist eine Art rechtsfreier Raum – nicht einmal die wenigen Rechte, die Flüchtlinge theoretisch noch haben sollten, werden dort umgesetzt. Das konnten Anwält*innen dokumentieren, die während der Protesttage Beratung anboten. Die Struktur der Institution ARE macht es unmöglich, dass die Leute im Abschiebelager ihre Rechte wahrnehmen können. Unser Eindruck war, dass der rechtsfreie Raum in der ARE auch auf die Proteste gegen die ARE ausgeweitet wurde. Nach dem Camp traf die Repression noch einmal mehr Menschen aus der ARE, die an Protesten teilgenommen hatten. Uns macht das Ausmaß an Rechtsfreiheit in der ARE und an Versammlungsverboten, Polizeipräsenz und Repressalien Sorgen. Umso wichtiger, dass wir weiter machen und dem in Bamberg etwas entgegensetzen.
War das jetzt der große Wurf?
Unser Protest in Bamberg war ein Baustein zwischen Kämpfen die schon geführt wurden und Kämpfen die kommen werden. Unser Protest fand unter schwierigen Bedingungen statt und wir haben vielleicht das Beste aus der Situation gemacht.
Die ARE Bamberg soll noch größer werden und in ein s.g. „Ankunftszentrum“ integriert werden. Es soll damit eines von 24 „Ankunftszentren“ bundesweit und das erste in Bayern sein. In diesen „Ankunftszentren“ werden die Geflüchteten unmittelbar nach der Ankunft in Deutschland sortiert und in „gute“ oder „schlechte“ Flüchtlinge eingeteilt. Diejenigen „mit schlechter Bleibeperspektive“ sollen direkt von hier aus wieder abgeschoben werden. In Zukunft werden weitere Gruppen betroffen sein.
Ein Protest gegen diese Abschiebelager, Abschiebungen, Rassismus und kapitalistische Verwertung insgesamt muss weiter gehen und breiter werden – in Bamberg und überall. Es gilt Strategien hierfür zu basteln und in die Praxis umzusetzen, aus den neuen Fehlern und Erfolgen zu lernen und weiter zu machen.
Wir planen weitere Veranstaltungen und Aktionen in Bamberg – einen Aktionstag wird es im Frühjahr 2017 geben.
Bündnis Solidarity4all